Der Chefvolkswirt
Dr. Jörg Zeuner ist seit Juni 2019 Chefvolkswirt und leitet den Bereich Research & Investment Strategy.
In dieser Funktion veröffentlicht er regelmäßig Beiträge in den Medien. Nachstehend finden Sie verschiedene Artikel und Kommentare von Dr. Zeuner.

Lästiger Ölpreis - 22.9.2023
Über zwei Euro riefen einige Tankstellen im September für einen Liter Benzin auf. Aktuell wirkt sich bei Benzin, Diesel und Heizöl die Preisrally am Rohölmarkt aus. Das Fass Brent kostete zwischenzeitlich so viel wie seit zehn Monaten nicht mehr. Verantwortlich für den Anstieg ist die künstliche Angebotsverknappung vor allem durch Saudi-Arabien. Das ist nicht uneigennützig: Das Land will weitere Anteile des staatlichen Ölriesen SaudiAramco an die Börse bringen. Ein höherer Ölpreis kommt da gelegen.
Zwar treiben die gestiegenen Energiepreise die Inflation wieder in die Höhe. Das wird man an den Verbraucherpreisen für September sehen, die das Statistische Bundesamt am Donnerstag veröffentlicht. Doch am grundsätzlichen Trend einer fallenden Teuerung wird das nichts ändern. Denn andere Preise, etwa von Gütern, sollten weiter sinken. Zudem dürfte der Ölpreisanstieg – selbst, wenn er sich noch etwas fortsetzt – nicht nachhaltig sein: Wegen der konjunkturellen Schwäche ist der Markt überversorgt. In der Folge dürfte die EZB deshalb die Zinsen nicht weiter anheben.
Der vorübergehend hohe Ölpreis wird das Zinsbild an den Kapitalmärkten also nicht grundsätzlich ändern. Entsprechend nimmt die Geldpolitik an den Märkten eine weniger wichtige Rolle ein als in den vergangenen Monaten. Auswirkungen kann der hohe Ölpreis jedoch auf die Profitabilität einzelner Unternehmen haben – darum ist am Aktienmarkt eine sorgfältige Titelauswahl wichtiger denn je.
Der Zinsgipfel ist erreicht - 18.9.2023
Es war bis zum Schluss eine Wackelpartie, ob die Europäische Zentralbank (EZB) noch einmal an der Zinsschraube dreht. Doch am Ende wurden unsere Erwartungen erfüllt: Sie hat den Einlagensatz um 25 Basispunkte auf 4 Prozent angehoben, die zehnte Anhebung in Folge. Der Aktienmarkt reagierte mit Kursgewinnen, während der Wechselkurs des Euro unter Druck geriet. Das liegt daran, dass EZB-Chefin Christine Lagarde eher „taubenhaft“ auf der Pressekonferenz auftrat. Sie erklärte, dass die Zinsen auf diesem Niveau helfen würden, das Inflationsziel der Notenbank von rund 2 Prozent zu erreichen.
In dieser Woche wird auch die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) die Karten offenlegen, ob sie die Zinsen unverändert lässt. Das erwarten wir und auch der Kapitalmarkt. Überraschend wäre, wenn die Fed weiter an der Zinsschraube dreht. Auch wenn in den vergangenen Tagen der Ölpreis deutlich angezogen hat, gehen wir weiterhin davon aus, dass das Ende der Fahnenstange im aktuellen Zinszyklus erreicht ist und dass keine weiteren Zinsanhebungen mehr zu erwarten sind.
Für die Aktienmärkte ist dies eine gute Nachricht, da ein Belastungsfaktor für die Bewertung wegfällt. Aus fundamentaler Sicht ist aber nur wenig Rückenwind zu erwarten, denn die Zinserhöhungen der Notenbanken wirken erfahrungsgemäß verzögert und belasten das Wachstum. Solange sich die Inflation aber wie erwartet weiter - wenn auch nur langsam - zurückbildet, ist zumindest Entwarnung an der Zinsfront angezeigt.
Industrie fällt als Zugpferd aus - 11.9.2023
Die deutsche Industrie schwächelt. Die Konsumverschiebung zu mehr Dienstleistungen sowie gestiegene Energie- und Finanzierungskosten belasten das produzierende Gewerbe. Die Produktion verlangsamt sich. Gleichzeitig gehen die Auftragseingänge deutlich zurück. Bereinigt um Großaufträge haben die Aufträge im Juli gegenüber Juni zwar ganz leicht zugelegt. Der Auftragsbestand in der Industrie liegt aber noch rund fünf Prozent unter dem Niveau von Ende 2019.
Die deutsche Industrie fällt damit als Zugpferd für die Wirtschaft aus. Doch erwarten wir keinen Einbruch, da die Auftragsbestände derzeit noch stabilisierend wirken. Wie sich die aktuelle Stimmung in der Wirtschaft entwickelt, wird sich auch nächste Woche zeigen, wenn der ZEW-Index für September veröffentlicht wird. Frühindikatoren wie der ifo-Index lassen auf niedrigem Niveau erste Anzeichen einer Stabilisierung erahnen. Doch bis es mit der deutschen Wirtschaft wieder aufwärts geht, dürfte es bis 2024 dauern. Denn die restriktive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank entfaltet erst jetzt langsam ihre volle Wirkung.
Vor diesem Hintergrund dürfte sich der deutsche Aktienmarkt vorerst nur verhalten entwickeln. Die Börsen werden zwar von der robusten US-Konjunktur und einer Rally in Technologiewerten gestützt. Doch zuerst muss noch ein trüber Herbst in Deutschland durchgestanden werden, bevor sich hierzulande die Perspektiven mit Blick auf 2024 langsam aufzuhellen beginnen.
Industrie belastet deutsches Wachstum - 6.9.2023
Nach einer Sonderkonjunktur im Juni ist der Auftragseingang in der deutschen Industrie im Juli erwartungsgemäß stark zurückgegangen. Die Bestellungen fielen im Vergleich zum Vormonat um 11,7 Prozent.
Die deutsche Industrie fällt damit weiterhin als Wachstumstreiber aus. Doch das Bild ist nicht so trüb, wie es auf den ersten Blick aussieht. Im Vormonat hatten zahlreiche Großaufträge, darunter einer über rund 900 Flugzeuge für den Hersteller Airbus, das Pendel nach oben ausschwingen lassen. Bereinigt um solche Großaufträge haben die Aufträge im Juli gegenüber Juni sogar ganz leicht zugelegt. Allerdings liegt der gesamte Auftragsbestand in der Industrie immer noch rund fünf Prozent unter dem Niveau von Ende 2019. Die Konsumverschiebung hin zu mehr Dienstleistungen sowie gestiegene Energie- und Finanzierungskosten belasten das produzierende Gewerbe.
Konjunkturindikatoren wie der ifo-Index lassen zwar auf niedrigem Niveau erste Anzeichen einer Stabilisierung erahnen. Der Abbau der Lagerbestände in der Industrie könnte bald ein Ende finden. Doch bis die Wende zum Besseren im Auftragsbestand geschafft ist, dauert es noch. Stand heute wird die Industrie erst im Laufe des nächsten Jahres wieder Fahrt aufnehmen.
Inflation wird nur langsam sinken - 4.9.2023
Wie geht es mit der Inflation weiter? Wer das wissen will, sollte ein Augenmerk auf die Produzentenpreisen legen. Denn sie geben einen Einblick in die Entwicklung der Teuerung bei den Vorprodukten. In Deutschland sind die Produzentenpreise im Juli mit minus sechs Prozent im Jahresvergleich so stark zurückgegangen wie zuletzt nach der Finanzkrise. Das ist zwar teilweise auf einen statistischen Effekt zurückzuführen, weil der Anstieg im Vorjahr durch den Ukraine-Krieg besonders hoch war. Doch verdeutlicht diese Entwicklung, dass der Preisdruck bei Gütern künftig spürbar abnehmen wird.
Nächste Woche werden die Produzentenpreise für den Euroraum veröffentlicht. Sie sollten ein ähnliches Bild zeigen wie hierzulande. Nach vorne blickend sind das gute Nachrichten für den Preisdruck in Europa. Zunächst dominiert aber noch der derzeit zähe Rückgang der Inflation das Geschehen. In Deutschland dürfte sich dieser zwar ab September beschleunigen, wenn das 9-Euro-Ticket aus der Vergleichsrechnung fällt. Der Weg zum Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von zwei Prozent ist aber noch lang und die Teuerung von 6,1 Prozent im August hat einige überrascht.
Ob die EZB deswegen im September einen letzten Zinsschritt um 25 Basispunkte beschließt, ist noch unklar. Wir gehen davon aus, dass die Erhöhung kommt. Für Verbraucher und Anleger bedeutet das, dass Kreditzinsen und Einlagenzinsen zunächst weiter hoch bleiben und möglicherweise sogar weiter steigen.
Weiterhin hoher Preisdruck in Deutschland - 30.8.2023
Die Inflation in Deutschland bleibt im August hoch. Die Teuerung lag im Jahresvergleich bei 6,1 Prozent, nach 6,2 Prozent im Juli.
Ein zügigerer Rückgang der Inflation wird einerseits durch die zuletzt gestiegenen Energiepreise verhindert, anderseits durch die nach wie vor solide Situation am Arbeitsmarkt. Diese führt nämlich zu einer ordentlichen Lohndynamik und hat durch den starken Sommertourismus weitere Unterstützung erfahren.
Dass die Preise für viele Güter in den letzten Monaten weniger stark gestiegen sind als noch im vergangenen Jahr, zeigt, dass die schwache Konjunktur ihre Spuren hinterlässt. Angebot und Nachfrage finden allmählich wieder in eine Balance.
Auch bei den Dienstleistungen dürfte die Inflation den Gipfel erreicht haben. Rein technisch betrachtet sollte im kommenden Monat zwar ein großer Schritt folgen: Aufgrund eines statistischen Effektes, nämlich dem Auslaufen des 9-Euro-Tickets im August 2022, dürfte die Inflation im Jahresvergleich im September deutlich fallen. Aber der Weg zu dem von der Europäischen Zentralbank definierten Ziel von zwei Prozent ist noch weit.
EZB tritt noch nicht an die Seitenlinie - 28.8.2023
Die Wirtschaft im Euroraum schwächelt, vor allem in Deutschland. Unterstrichen wird das von den Einkaufsmanagerindizes für August, die deutlich gesunken sind. Das ist der vierte Rückgang für den Gesamtindex in Folge. Vor allem der Dienstleistungssektor fiel spürbar unter die Wachstumsschwelle, gleichzeitig legten dort die Preise stärker zu aufgrund hoher Energiekosten und steigender Löhne.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Wirtschaftsleistung im Euroraum im dritten Quartal schrumpft, ist mittlerweile sehr hoch – insbesondere in Deutschland. Mit einem Einbruch der Konjunktur ist jedoch nach wie vor nicht zu rechnen. Wie verhält sich die Europäische Zentralbank (EZB) angesichts dieser Gemengelage? Die Märkte preisen nach den schwachen Konjunkturdaten nun ein, dass die Notenbank die Zinsen im September nicht mehr anhebt. Aus unserer Sicht ist das allerdings weniger wahrscheinlich.
Die Inflation im Euroraum und hierzulande sollte zwar weiter langsam zurückgehen. Die neusten Daten, die ab Mitte dieser Woche veröffentlicht werden, dürften aber für August noch keinen genügend großen Rückgang zeigen, damit die EZB ihren Zinsanhebungszyklus für beendet erklärt. Denn ihr Preisstabilitätsziel ist noch lange nicht erreicht. Deshalb gehen wir davon aus, dass im September eine letzte Zinsanhebung um 25 Basispunkte kommt. Doch wie auch immer die Entscheidung der Notenbank ausfällt, die Märkte dürften darauf mit Gelassenheit reagieren.
Ifo-Index: Das zweite Halbjahr wird herausfordernd - 25.8.2023
Das Geschäftsklima in Deutschland trübt sich weiter ein, der Ifo-Index hat im August erneut nachgegeben. Nach zuletzt 87,4 Punkten notiert das Konjunkturbarometer nun bei 85,7 Zählern. Erschwerend hinzu kommt: War in den vergangenen Monaten vor allem das verarbeitende Gewerbe für die schlechte Stimmung in der Wirtschaft verantwortlich, so greift die Flaute immer mehr auch auf den Dienstleistungssektor über – und das nicht nur bei industrienahen Branchen wie Transport und Logistik. Im Gegensatz zu den diese Woche ebenfalls erschienenen Einkaufsmanager-Indizes sind auch die Erwartungen weiter gesunken.
Doch immerhin lässt sich ein Silberstreifen am Horizont ausmachen. Die Erwartungen der Industrie weisen erste Stabilisierungstendenzen auf. Gut möglich also, dass das Tal der Tränen für das Konjunkturbarometer demnächst durchschritten ist.
Bis es wieder aufwärts geht, werden aber noch einige Monate vergehen. Das zweite Halbjahr wird ein herausforderndes, erst ab der Jahreswende erwarten wir wieder ein leichtes Wachstum. Bis dahin sollte die Europäische Zentralbank – nach einem letzten Schritt im September – auch ihren Zinserhöhungszyklus beendet haben.
DAX schlägt Konjunktur - 21.8.2023
Die Vorzeichen sind düster: Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat die Wachstumsprognose für Deutschland für das laufende Jahr auf minus 0,3 Prozent gesenkt. Das ist nicht nur der niedrigste Wert unter den G7-Staaten, sondern auch der einzig negative. Vor wenigen Tagen signalisierte dann das Zentrum für Wirtschaftsforschung (ZEW) mit seiner Konjunkturumfrage, dass Besserung nicht so schnell zu erwarten ist. Auch der Ifo-Index am kommenden Freitag dürfte kaum Anlass zu Optimismus geben.
Tatsächlich ist die Lage in Europas größter Volkswirtschaft ungemütlich. Nach einem Rückgang der Wirtschaftsleistung im ersten und einer Stagnation im zweiten Quartal sollte die Wirtschaft im dritten Quartal erneut leicht schrumpfen. Eine Mischung aus globalen Herausforderungen wie der Wachstumsschwäche in China und hausgemachten Themen wie der Industrielastigkeit der Wirtschaft, den hohen Energiekosten und der ausgeprägten Bürokratie gehört zu den Gründen dafür. Mit neuerlichem Wachstum ist in Deutschland erst ab 2024 zu rechnen.
Doch Anleger sollten deshalb nicht den Kopf in den Sand stecken, selbst bei einem Fokus auf deutsche Aktien. Gerade die großen, im DAX vertretenen Unternehmen verdienen ihr Geld weltweit. Der hiesige Markt macht in der Regel nur einen Bruchteil des Umsatzes und Gewinns aus. Wer wissen will, ob ein Investment in hiesige Unternehmen lohnend ist, sollte einen Blick auf die globale Wirtschaft werfen – da sieht das Bild etwas besser aus.
Deutscher Alleingang nicht ratsam - 14.8.2023
Halbleiter, Quantencomputer, Künstliche Intelligenz: Die US-Regierung will Investitionen von US-Investoren in derartige Sektoren in China prüfen und gegebenenfalls untersagen, um sensible Technologien zu schützen. Sie hofft auch auf ein ähnliches Vorgehen in den übrigen G7-Nationen.
Die nächste Runde im Sanktionswettlauf zwischen China und den USA lässt aufhorchen, hat aber den Kapitalmarkt nicht groß überrascht und war absehbar. Trotzdem kann das Thema Anleger nicht kalt lassen: Für deutsche Unternehmen, für die China ein wichtiger Absatzmarkt ist, wird die Abhängigkeit vom Reich der Mitte zunehmend zur Herausforderung. Der Blick auf die Handelsbilanz zeigt schon länger stagnierende Exporte nach und steigende Importe aus China. Die Investitionen deutscher Unternehmen in China steigen weiter, aber die Marktanteile etwa der deutschen Autobauer fallen.
Um nicht auf der Verliererseite zu landen, muss sich die hiesige Wirtschaft neu aufstellen. Ein Mosaikstein ist die Entkopplung der globalen Lieferketten. Im Chipsektor hat es Deutschland geschafft, den Branchenführer TSMC nach Dresden zu locken, und der US-Hersteller Intel will ein großes Werk in Brandenburg bauen.
Doch die Antwort auf den Großmachtwettbewerb kann Deutschland nicht im Alleingang geben – das ist nur über eine gemeinsame europäische Anstrengung machbar. Nur wenn Deutschland und die EU zusammen die richtigen Weichen stellen, kann auch der europäische Kapitalmarkt für Anleger attraktiv bleiben.
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