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Im Interview: Frank Engels und Vanda Rothacker

Union Investment spricht sich für hybride Hauptversammlungen aus, moniert Ämterhäufung in Aufsichtsräten und unterstützt Say on Climate

"Corporate Governance ist nicht nur ein Krisenthema"

Die Corporate Governance von Unternehmen ist für Union Investment nicht nur in Krisenzeiten von hoher Relevanz. Aus Sicht der Fondsgesellschaft sind noch einige Hausaufgaben zu erledigen. Das sei im neuesten Ranking in Dax und MDax zu erkennen. Wo die neuralgischen Punkte liegen, erläutern Vorstand Frank Engels und ESG-Analystin Vanda Rothacker im Interview der Börsen-Zeitung.

Frau Rothacker, Herr Engels, erst Corona, dann Ukraine und Inflation, jetzt Bankenbeben. Gibt es Aspekte in der Corporate Governance, die aus Ihrer Sicht in Krisenzeiten besonders wichtig sind?

Engels: Corporate Governance ist natürlich nicht nur ein Krisenthema, sondern zu jeder Zeit wichtig für uns. Mit Blick auf stürmische Zeiten, die ja sehr schnell aufziehen können, ist die Transparenz der Unternehmensführung und der kontinuierliche Dialog mit Vorstand und Aufsichtsrat von höchster Bedeutung.

Wie lief das im Fall Credit Suisse?

Engels: Dort haben wir uns als Aktionär schon vor mehr als zwei Jahren zurückgezogen. Weil wir mit der Governance nicht einverstanden sind, haben wir seit 2019 dem Verwaltungsrat die Entlastung verweigert. Wir sind aber auch Aktionär der UBS und hätten es erwartet, zur Übernahme von Credit Suisse zumindest konsultiert zu werden. In einer krisenhaften Schieflage können Aktionärsrechte außer Kraft gesetzt werden, das verstehen wir, sehen es aber dennoch kritisch.

Sie unterziehen die Organvertreter der Unternehmen kontinuierlich dem Krisencheck?

Rothacker: In Krisenzeiten müssen sich Vorstand und Aufsichtsrat am stärksten bewähren. Mit Blick auf die Kapitalseite im Aufsichtsrat als Vertreter der Aktionäre schauen wir uns genau an, wie das Gremium besetzt ist und welche Kompetenzen dort vorhanden sind. Zentraler Punkt ist für uns auch, ob Aufsichtsräte genügend Zeit für ihre Tätigkeit haben. Hier spielt das Thema Ämterhäufung eine große Rolle. In den vergangenen Jahren haben ja einige Aufsichtsräte durchaus zu spüren bekommen, mit welchen Problemen und welcher zeitlichen Beanspruchung sie ohne langen Vorlauf konfrontiert werden können.

Mit Blick auf Aktionärsrechte und Krisen haben Sie und andere Fondsvertreter in Corona-Zeiten harsche Kritik am Format der virtuellen Hauptversammlung geübt. Wie sieht es nach der gesetzlichen Neuregelung aus? Haben die Unternehmen gelernt?

Rothacker: Auf den ersten Hauptversammlungen im laufenden Jahr gab es viele technische Probleme, zum Beispiel bei Siemens Energy oder noch gravierender bei Tui, wo die Versammlung sogar zweimal unterbrochen werden musste. Wir sind vom virtuellen Format nach wie vor nicht überzeugt. Das neue Gesetz ist zwar besser als die Notfallgesetzgebung, aber es gibt aus Aktionärssicht weiterhin Kritikpunkte.

Corporate Governance ist zu jeder Zeit wichtig für uns. Mit Blick auf stürmische Zeite ist die Transparenz der Unternehmensführung und der kontinuierliche Dialog mit Vorstand und Aufsichtsrat von höchster Bedeutung.

Dr. Frank Engels

Vorstand Portfoliomanagement

Engels, Frank Zitatbild

Wo hakt es aus Ihrer Sicht unabhängig von der Technik?

Rothacker: Wir finden es nicht richtig, dass der Vorstand über das Format entscheidet. Wir wollen keine Distanz-Hauptversammlung, sondern vor dem gesamten Vorstand und Aufsichtsrat sprechen können. Es gefällt uns auch nicht, dass Unternehmen Fragen schon vor der Hauptversammlung schriftlich beantworten können, wodurch der Generaldebatte die Grundlage entzogen wird.

Könnte das nicht die Qualität der Antworten erhöhen?

Rothacker: In den letzten drei Jahren konnten wir das nicht feststellen. Die Vorverlagerung entwertet den Tag der Hauptversammlung, weil es unterschiedlich gelagerte Informationen gibt. Die Gremienmitglieder hören die Fragen nicht mehr und nehmen nicht mehr selbst dazu Stellung. Umso erfreulicher ist, dass zumindest ein Dutzend Dax-Unternehmen wieder Präsenzversammlungen durchführt. Darunter sind Deutsche Telekom, Henkel, BASF, Deutsche Post, Volkswagen, Adidas, SAP und Fresenius, wo wir vor Ort unser Rederecht nutzen werden.

Wie stehen Sie zum hybriden Format?

Engels: Die hybride Hauptversammlung verbindet das Beste aus beiden Welten. Aktionäre können dann selbst entscheiden, ob sie den persönlichen Austausch vor Ort bevorzugen oder nur am Bildschirm teilnehmen wollen.

Ist es für Sie akzeptabel, wenn Unternehmen wie die Telekom zur Präsenz-Hauptversammlung einladen und dennoch einen Satzungsbeschluss für das virtuelle Format herbeiführen wollen?

Rothacker: Es ist sinnvoll, dass ein Unternehmen im Fall einer erneuten Pandemie handlungsfähig bleibt. Wenn das als Voraussetzung klar festgeschrieben ist, akzeptieren wir es. Daneben ist es uns entsprechend den BVI-Vorgaben wichtig, dass die Ermächtigung nur für zwei Jahre eingeholt wird und der gesetzlich mögliche Rahmen von fünf Jahren nicht ausgeschöpft wird. Wir verlangen zudem, dass Fragen nicht vorab eingereicht und beantwortet werden und Rede- und Fragerecht nicht in der Einladung begrenzt werden. Die Gremienmitglieder müssen außerdem persönlich anwesend sein, anstatt sich nur digital zuzuschalten.

Sie entscheiden von Fall zu Fall?

Rothacker: Ja. Wir stellen uns nicht kategorisch dagegen, wollen aber sehr genau wissen, wie die virtuelle Hauptversammlung ausgestaltet ist und unter welchen Voraussetzungen das Format genutzt werden soll.

Wir wollen keine Distanz-Hauptversammlung, sondern vor dem gesamten Vorstand und Aufsichtsrat sprechen können.

Dr. Vanda Rothacker

ESG-Analystin

Vanda Rothacker

ESG ist das Thema der Zeit. Kommen die Unternehmen ihrer Verantwortung ausreichend nach?

Engels: Es gibt noch einige Baustellen, deren Bearbeitung wir über unsere Abstimmungsrichtlinien einfordern. Wir verlangen zum Beispiel eine transparente Nachhaltigkeitsberichterstattung. Wenn Unternehmen ein Say on Climate auf die Tagesordnung setzen, muss das bestimmten Kriterien entsprechen. Zum Beispiel müssen die Emissionen nach Scope 1 bis 3 offengelegt werden und wir wollen ein Netto-null-Ziel sehen.

Ist in den Aufsichtsräten genügend ESG-Kompetenz vorhanden?

Engels: Die Kompetenz des Aufsichtsrats zu genau diesen ESG-Fragen muss objektiv nachvollziehbar sein.

Rothacker: Ein positives Beispiel ist hier die Commerzbank. Sie begründet ausführlich, welche ESG-Kompetenz in ihrem Aufsichtsrat vorhanden ist. Viele Unternehmen belassen es leider bei einem bloßen Häkchen in der Kompetenzmatrix, das auf der Selbsteinschätzung des Gremiums basiert.

Würden Sie ein Say on Climate befürworten, wie es in manchen Ländern schon üblich ist?

Rothacker: Auf jeden Fall. Schon heute schauen wir uns die Vorschläge der Unternehmen zur Klimastrategie sehr genau und sehr kritisch an. Die Abstimmung darüber hat eine Signalwirkung ähnlich dem Say on Pay. So wird sichtbar, ob die Aktionäre die Strategie unterstützen.

Könnte das ein Thema für den Deutschen Corporate Governance Kodex sein?

Engels: Ja, möglicherweise schon. Dasselbe gilt für die Frage nach dem Hauptversammlungsformat.

In den USA gibt es eine ESG-Gegenbewegung, die kritisiert, dass Rentabilitätsaspekte zu kurz kommen können. Kann man das Rad bei ESG auch überdrehen?

Engels: Regulatorisch sollte man Augenmaß bewahren. Aber wir haben nur einen Planeten Erde und können das Rad beim Thema ESG nicht zurückdrehen. Die Geschäftsmodelle der Unternehmen wären sonst bedroht - mit harten ökonomischen Konsequenzen.

 

Weiterführende Informationen zum Corporate-Governance-Ranking der DAX- und MDAX-Konzerne finden Sie hier.

Das Interview führte Sabine Wadewitz, veröffentlicht in der Börsen-Zeitung am 30.03.2023

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